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Die große Frage: Echt, oder?

HÄNDEL-FESTPIELE HALLE 2017

Die große Frage: Echt, oder?

VON ANDREAS MONTAG Original oder Fälschung? Wenn das nur immer so einfach zu beantworten wäre! Und ab wann darf eine Fälschung selbst als Original betrachtet werden? Was in der Gegenwart schon kompliziert genug ist, kann rückblickend auf die Zeit des Barocks noch viel weniger mit einem Federstrich entschieden werden. Umso reizvoller ist das Thema allerdings, mit dem sich die halleschen Händel-Festspiele in diesem Jahr beschäftigen. Dabei liegt eine Vermutung natürlich nahe, die nun viele auch prompt anstellen werden: Clemens Birnbaum, der Direktor des Händel-Hauses in Halle und Intendant des Musikfestes, das jährlich zu Ehren des 1685 in der mitteldeutschen Stadt geborenen Komponisten veranstaltet wird, hätte mit seiner Themenwahl direkt auf die aktuelle Diskussion um sogenannte Fake News und „Alternative Fakten“ reagieren wollen. Aber so war das gar nicht, versichert Birnbaum glaubwürdig. Denn die Planungen der Themen und die Einladung der Teilnehmer haben mehrere Jahre Vorlauf. Allenfalls, was ja auch nicht zu seinem Nachteil wäre, wird man dem 54-Jährigen nachsagen können, er hätte den richtigen „Riecher“ gehabt, dass dieser Punkt zu einem der bestimmenden Themen werden würde. Jahrelange Beschäftigung Dabei beschäftigen sich namentlich auch die Musikwissenschaftler um Wolfgang Hirschmann in Halle seit Jahren mit der Frage, was echt, was „gefaked“ ist an Händel und in seiner Zeit überhaupt. Da lag es nur nahe, dass sich auch die Festspiele, die eng mit der halleschen Händelforschung verzahnt sind und deren Bestandteil in jedem Jahr die viel beachtete wissenschaftliche Konferenz ist, den Gegenstand einmal vornehmen würden. Aufregend ist dieser besondere historische Exkurs jedenfalls - erst recht angesichts der heute so vielfältigen Reproduzierbarkeit von Musikwerken, wodurch man es nicht nur mit Raubkopien, sondern eben auch mit der Diskussion über Plagiate oder schöpferische Weiterentwicklungen zu tun hat. Der jahrzehntelange, noch immer nicht endgültig entschiedene Rechtsstreit um ein paar Töne der deutschen Krautrocker von Kraftwerk, die sich von dem Produzenten Moses Pelham bestohlen sehen, markiert als prominentes Beispiel nur die Fallhöhe. Die 1977 veröffentlichte Kraftwerk-Sequenz hat Pelham 20 Jahre später für einen Song der Künstlerin Sabrina Setlur gesampelt. Um ganze zwei Sekunden geht es, die Pelham aufgegriffen hat. Und um das Prinzip. Was das mit Händel zu tun hat? Seinerzeit nahm man das mit dem Sampeln nicht so genau. In diesem Zusammenhang wird auch nicht von Kopie gesprochen, sondern das etwas sperrige Wort „Entlehnungspraxis“ bemüht. Da sind zum Beispiel die bekannten Pasticci des Meisters, die es aus Gründen des Reinheitsgebotes wohl nicht in die Hallische Händel-Ausgabe schaffen werden, wie Clemens Birnbaum sagt. Ein Pasticcio kann eine Oper, aber auch ein kirchenmusikalisches Werk wie etwa ein Oratorium sein, das in Teilen aus der Musik anderer Komponisten oder aus bereits vorhandenen Werken des gleichen Tonschöpfers zusammengesetztist. Im frühen 18. Jahrhundert war dies gängige und keineswegs beanstandete Praxis. Es wurde viel an frischer Ware nachgefragt, entsprechend flott haben Komponisten den Bedarf befriedigt.

Eine Recherche bei Halles Händel-Festspielen

19.05.2017 09.00 Uhr

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DAS HÄNDEL-HAUS in der halleschen Nikolaistraße 5 ist das Geburts- und Wohnhaus des Barockmeisters. Heute beherbergt es das Händel-Museum. FOTOS: DAVID REISLER, ANDREAS STEDTLER (2)
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CLEMENS BIRNBAUM 
wurde 1963 in Hanau (Hessen) geboren. Der Musikwissenschaftler ist seit 2009 Intendant der Händel-Festspiele und Direktor des Händel-Hauses Halle.

Naserümpfen der Kollegen

Im 19. Jahrhundert haben die Komponisten die Nase über diese Praxis ihrer altvorderen Kollegen gerümpft. Ein Urheberrecht im heute üblichen Sinne, auf dessen Grundlage es sich famos prozessieren lässt, hat es im Barock aber nicht gegeben. Händel indes, der sich seines Wertes wohl bewusst und auf seine Stellung bedacht war, ließ sich in England alsbald ein königliches Privileg ausfertigen, das quasi den Markenschutz seiner Kompositionen garantieren sollte. „Wenn Händel heute leben würde“, sagt Clemens Birnbaum, „säße er wahrscheinlich mehr in Gerichtssälen als zu komponieren.“ Und wie sah es damals aus? „Wusste das Publikum im Barock überhaupt, von wem die Originalwerke waren“, fragt der Festspiel-Intendant und antwortet: „Die wenigstens wussten es.“ Das ist der Stoff, der die wissenschaftlichen Debatten heute so interessant und anregend macht.

So ist Birnbaum gespannt auf die zwei Fassungen des „Messiah“, die es in Halle zu hören geben wird. Und dann steht da ja noch eine Johannes-Passion auf dem Programm: „Wir sagen nicht, ob sie von Händel ist oder nicht - wir stellen sie vor.“ Auch andere mögliche Urheber sind im Gespräch, Reinhard Keiser aus Teuchern bei Zeitz zum Beispiel.

Eines hält Clemens Birnbaum immerhin fest: Vielleicht könnten wir aus all diesen Unwägbarkeiten etwas lernen für die Fälschungsdebatten der Gegenwart.

ZUR PERSON

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TITELFOTO MIT DER HALLESCHEN SCHAUSPIELERIN SOPHIA PLATZ

Sie schreibt gerade an ihrer Masterarbeit, die sie an der Leipziger Theaterhochschule vorlegen muss. Außerdem steht sie als Mitglied des Schauspielstudios häufig auf der Bühne des neuen theaters Halle. Jüngst waren sie und ihre Kollegen mit der Thalia Produktion von Sibylle Bergs Kinderstück „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ zu einem Festival nach Berlin eingeladen. Dort ist Sophia Platz 1991 geboren worden. Mit Start der neuen Spielzeit geht sie in ihr erstes festes Engagement an das Volkstheater Rostock. Und zuvor hatte sie Zeit, für unsere Beilage als Händel zu posieren.

TERMINE

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Postkartenvorschlag von Matthias Trinks, genannt Beck

FREITAG - 26. MAI
HALLE

Feierstunde am Händel-Denkmal

Musikalische Leitung: Clemens Flämig Stadtsingechor Halle, Pfeiferstuhl Music Halle, Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle, Kammerorchester der Martin-Luther-Universität; in Kooperation mit dem „Kirchentag unterwegs“, 16 Uhr Händel-Denkmal auf dem Marktplatz, Eintritt frei

Carillonkonzert (Open air)
Carillonneur: Frank Deleu (Belgien)
Veranstalter: Stadtmuseum Halle, 17 Uhr
Händel-Denkmal auf dem Marktplatz, Eintritt frei

15. Orgelnacht
Orgelmusik in verschiedenen Kirchen Halles
In Kooperation mit dem „Kirchentag unterwegs“ 19 Uhr, Eintritt frei

Jephtha HWV 70 (Premiere)
Opernhaus Oratorium von G. F. Händel (szenische Aufführung)
Musikalische Leitung: Christoph Spering
Inszenierung: Tatjana Gürbaca Solisten: Robert Sellier (Jephtha), Svitlana Slyvia (Storgè), Ines Lex (Iphis), Leandro Marziotte (Hamor), Ki-Hyun Park (Zebul) Händelfestspielorchester Halle
Englisch mit deutschen Übertiteln
Veranstaltung der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, 19.30 Uhr

SAMSTAG - 27. MAI
HALLE


„Lasset uns den Herren preisen“
Zur Geschichte der protestantischen Kirchenmusik in Halle, Führung mit Konstanze Musketa, 11 Uhr
Wilhelm-Friedemann-Bach-Haus
Teilnehmerzahl begrenzt

BAD LAUCHSTÄDT

Acis and Galatea HWV 49a (Premiere)
Goethe-Theater
Masque von G. F. Händel Musikalische Leitung: Jana Semerádová
Inszenierung: Vít Brukner
Solisten: Sophie Junker (Galatea), Benedikt Kristjánsson (Aci), Patrick Grahl (Damon), Tomáš Král (Polifemo), Tomáš Lajtkep (Tityrus)
Marionettentheatercompany Buchty a Loutky (Prag)
Schauspieler: Marek Bečka, Zuzana Brucknerová, Radek Beran
Collegium Marianum, 14:30 Uhr