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Riebeckplatz in Halle: Der unvollendete Superlativ

Halles berüchtigter Knoten sprengt nicht nur Rekorde. Er ist seit Jahrhunderten auch ein Ort fundamentaler Veränderungen

Riebeckplatz in Halle: Der unvollendete Superlativ

FOTOS: STADTARCHIV

Gigantisch. Quirlig. Laut. Es ist der Platz, der niemals schläft. Ein Ort der Superlative. Durchschnittlich überqueren 80.000 Fahrzeuge pro Tag sowie stündlich 52 Bahnen den Riebeckplatz in Halle. Nach wie vor ist er der verkehrsreichste innerstädtische Knoten in Ostdeutschland und einer der größten Kreisverkehre der Republik. Und doch ist Halles Eingangstor unfertig.

80 TAUSEND AUTOS passieren an einem Werktag den Riebeckplatz aus und in alle Richtungen. Pro Jahr kracht es hier rund 140 Mal. Damit ist der Riebeckplatz Halles Unfallschwerpunkt Nummer eins.

Dort verweilen will keiner. Drei Bundesstraßen pumpen die Blechlawinen über den Platz - aber nicht zu ihm hin. Beton, Abgase und Lärm lassen auch Besucher unterirdisch eher aus und in Richtung Stadt hetzen. Aufenthaltsqualität sucht man hier vergebens. Die Stadt will das mit einem Masterplan ändern, der mit spektakulären Visionen wörtlich an den Grundpfeilern des Platzes rüttelt. So ist in ferner Zukunft der Abriss der aufgestelzten Hochstraße im Gespräch, über die seit 1965 der Verkehrsstrom in Nord-Süd-Richtung fließt. Und Halle würde, bei einem Zuschlag des Bundes, an den Platz das geplante Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation bauen. Aber warum hier in der Steinwüste? „Der Riebeckplatz steht wie kein anderer Ort für den Wandel. Er liegt zentral und ist verkehrstechnisch hervorragend angebunden. Wir haben den perfekten Standort", sagt Mark Lange, Chef des Stadtmarketings in Halle.

Der ,,Alex" von Halle

Doch der einst gefürchtete Platz schreibt noch seine eigenen Gesetze, wird noch immer vom Erbe der DDR dominiert. Als in den 1960er Jahren der "Alexanderplatz von Halle" konzipiert und auch gebaut wurde, spielte die sozialistische Idee vom Leben in einer Stadt die Hauptrolle. „Wir verbinden hier alles, was das Gebiet lebensfähig macht: eine gute Verkehrslösung, eine große Anzahl neuer Wohnungen, Büros, Kulturbauten sowie Einrichtungen des Handels", sagte damals Gerhard Kröber, von 1968 bis 1983 Stadtarchitekt in Halle. Doch die Planer erschufen ein städtebauliches Monster mit einer apokalyptischen Verkehrsregelung, die selbst nach dem Mauerfall ortskundigen Autofahrern den Schweiß auf die Stirn trieb. ,,Ich kenne einige Leute, die sich nicht über den Platz getraut haben und lieber Schleichwege nutzten", erzählte 2006 Halles damalige Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler (SPD). In dem Jahr, als Deutschland mit der Fußball-WM das Sommermärchen feierte, war der bislang größte Umbau nach dem Mauerfall fertig. Die Straßenbahn rollt seitdem unter dem Platz, das Wirrwarr auf dem Kreisel wurde entschärft.


Gelebte Transformation

Transformation, darunter versteht man grundlegende Veränderungen, hat der Riebeckplatz tatsächlich seit Jahrhunderten erlebt. Seine Geschichte beginnt, als das Gebiet noch außerhalb der Stadtmauern lag. Ab dem 12. Jahrhundert stand hier der Galgen der Stadt. Es war ein unwirtlicher Ort, den Reisende als wüsten und Schutt-Schmutzhaufen beschrieben. Der Gestank war wohl bestialisch. Das änderte sich erst 1809, als unter französischer Herrschaft die grauenhafte Richtstätte abgerissen wurde.

75 METER HOCH soll das Vier-Sterne-Hotel werden, das der hallesche Baukonzern Papenburg nördlich des Busbahnhofs plant. Es würde zum vorerst höchsten Haus am Riebeckplatz werden.

Fortan erlebte das begehrte Fleckchen Erde seine Blüte. 1827 bekam es den ersten vernünftigen Namen: Leipziger Platz. Das erste Gasthaus an diesem Ort, das spätere Hotel ,,Goldene Kugel", erhielt Konkurrenz, etwa durch das ,,Hotel Europa". Eine Gartenanlage entstand. Es ging rasant vorwärts. 1840 erreichte die erste Dampflok die Saalestadt. 50 Jahre später wurde der Hauptbahnhof eröffnet. Und für Halle rückte der Leipziger Platz in das Zentrum der Stadtentwicklung. Schon damals sollte er das Eingangstor zur Stadt werden und war es auch. Wohnhäuser und ein Springbrunnen wurden gebaut und der Platz 1891 nach dem verdienstvollen Unternehmer Carl Adolf Riebeck benannt.


Verkehr dominiert

Verkehrstechnisch trieb der Platz aber offenbar schnell Hallenser, Gäste und Planer zur Weißglut. So erschien die ,,Mitteldeutsche National-Zeitung" 1937 mit der Forderung, einen Tunnel für die Straßenbahnen vom Riebeckplatz bis zum Leipziger Turm zu bauen, um das Chaos zu beenden. ,,Die bisher getroffenen Verbesserungen durch die Einführung eines Kreisverkehrs und die teilweise Verlegung der Straßenbahnhaltestellen führten wohl zu einer etwas glatteren Abwicklung des Verkehrs", schreibt das Blatt. Aber zu einer Entlastung sei es nicht gekommen. Fazit: Berlin habe einen Spreetunnel, Hamburg den Elbtunnel. ,,Warum sollte Halle als eine der zukunftsreichsten Städte Mitteldeutschlands keinen Verkehrstunnel haben?"

An Ideen mangelte es nicht, die durch den Zweiten Weltkrieg allerdings ein jähes Ende fanden. Einen Angriff amerikanischer Kampfflugzeuge am 31. März 1945 fielen quasi alle repräsentativen Bauten zum Opfer - darunter die Hotels Goldene Kugel, Europa, Weltkugel und Hohenzollernhof. Nach Kriegsende wurde der Platz nach Arbeiterführer Ernst Thälmann benannt. Statt Wiederaufbau kam der radikale Wandel. Alte Gebäude, die den Bombenhagel überlebten, wurden gesprengt. An ihre Stelle traten das Interhotel Stadt Halle (später Maritim) und Hochhäuser, zwei von ihnen mit 23 Geschossen. Vor dem Haus des Lehrers wurde 1970 das "Monument der Arbeiterbewegung" enthüllt - vier 15 Meter hohe Betonfäuste. 2003 kamen die Abrissbagger. Proteste aus der Bevölkerung nutzten nichts.


Blick in die Zukunft

Was bringt die Zukunft? Ein neues Hotel steht bereits ebenso ein Wohn- und Geschäftshaus der Wohnungsgesellschaft HWG. Maritim Das wird nach dem Willen der neuen Eigentümer fallen und Platz für ein neues Wohnquartier schaffen. Und der Baukonzern Papenburg plant am „grünen Hügel" nördlich des Busbahnhofs ein 75 Meter hohes Vier-Sterne-Hotel mit einer spektakulären Fassadenverkleidung aus gebürsteten Bronzeblech.

Das geplante Zukunftszentrum würde den Platz, der seit 1991 wieder Riebeck heißt, grundlegend verändern. „Neben der enormen Strahlkraft nach Europa hätten wir die Chance, den Riebeckplatz neu zu entwickeln. Und das mit Investitionen, die wir in Halle in dieser Dimension noch nicht erlebt haben", sagt Marketingexperte Lange. Der bei vielen gefürchtete Knoten würde sich zu einem modernen Viertel wandeln, glaubt er. DIRK SKRZYPCZAK 


Gefürchtet und begehrt

Galgtorvorplatz, Leipziger Platz, Thälmannplatz, Riebeckplatz: So wie sich die Namen änderten, durchlebte auch Halles wichtigster Knoten eine Reihe von Metamorphosen. Der Umbau in den 1960er Jahren war freilich so radikal, dass der Platz diesen Charakter bis heute erhalten hat. An mondänere Zeiten erinnern alte Aufnahmen. 1903 besuchte Kaiser Wilhelm II. die Stadt Halle. Ihm zu Ehren wurde am Riebeckplatz das Kaisertor aufgestellt. Und ja, so schmuck sah der Platz mal aus: Das Hotel Europa wurde allerdings durch Bombenangriffe zum Ende des Zweiten Weltkriegs wie andere herrschaftliche Gebäude zerstört und abgerissen.