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Egbert Geier über Zukunftszentrum: "Halle gibt etwas zurück"

Im Interview mit der MZ spricht Bürgermeister Egbert Geier von einem "historischen Moment" für Halle: Die Stadt wurde als Standort des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation ausgewählt

Egbert Geier über Zukunftszentrum: "Halle gibt etwas zurück"

Auf der Dankeschön-Veranstaltung für alle Helfer im Stadthaus überreichte Katrin Budde die Urkunde der Jury für die Wahl Halles an Bürgermeister Egbert Geier. Das Zukunftszentrum soll bis 2028 am Riebeckplatz gebaut werden. FOTOS/VISUALISIERUNG: SCHELLHORN, STADT HALLE

Egbert Geier spricht von einem ,,historischen Moment" für Halle, der die Seele der Menschen berühre. Vor drei Wochen hatte die 15-köpfige Jury, von der Bundesregierung eingesetzt, Halle als Standort des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation ausgewählt. Am 1. März soll das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Beschluss bestätigen. Das gilt als Formsache. In Halle jedenfalls herrschen Euphorie und Aufbruchstimmung. Für die MZ haben Chefredakteur Marc Rath und Chefreporter Dirk Skrzypczak mit dem Sozialdemokraten über die Entscheidung und ihre Bedeutung für Halle gesprochen.

Herr Geier, haben Sie auch Glückwünsche aus Frankfurt (Oder) erhalten? Die Stadt galt als Favorit, dort war die Enttäuschung groß, als Halle gewann.

Egbert Geyer:
Einen direkten Kontakt gab es nicht. Aber ich habe gelesen, wie sich der Oberbürgermeister aus Frankfurt (Oder) gegenüber der Presse geäußert hat. Es gibt keine Verlierer. Deshalb wollen wir mit den anderen Bewerbern auch ins Gespräch kommen und möglichst eine Zusammenarbeit pflegen. Ich begrüße den Vorschlag der Jury, dem Bundestag und der Bundesregierung zu empfehlen, einzelne Projekte, die von den Städten im Bewerbungsprozess entwickelt wurden und die von hoher Relevanz sind, zu unterstützen.

Halles Konkurrenten scheinen das ähnlich zu sehen. Leipzig hofft, dass die Wahl Halles auch Schwung nach Sachsen bringt. Und Jena bietet eine Kooperation über die Friedrich-Schiller-Universität an. Wie empfinden Sie diese Reaktionen?

Ich finde das klasse. Die Vernetzung im Sinne des Zukunftszentrums beginnt - und zwar an ganz unterschiedlichen Stellen in Mitteldeutschland. Da sind einerseits die Hochschulen, aber auch die Städte. Das ist einer der positiven Effekte der Entscheidung. Von Halle gehen Impulse in die Region aus. Wir dürfen nicht kleinkariert denken. Je mehr Akteure sich aus Mitteldeutschland hinter der Zielstellung des Zukunftszentrums vereinen, umso besser ist es.

An jeder Ecke ist in Halle Euphorie zu spüren, auch wenn die Dimensionen der Entscheidung noch keiner erahnen kann. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Stadt wahr?

Äußerst positiv. Dass wir das Zukunftszentrum bekommen, bewegt und berührt die Seele der Stadt erheblich. Plötzlich wird Halle von innen wie außen in einem neuen Licht gesehen. Auch das ist für uns eine große Chance. Wir können die Stadt dauerhaft national und europäisch verankern.

Es gibt auch nachdenkliche Töne. Vom Zukunftszentrum habe der normale Hallenser nichts, meinen Skeptiker. Was bringt der Stadt das Zentrum außer vielen Touristen?

Das Zukunftszentrum wird die Entwicklung der Stadt nachhaltig beeinflussen. Und es wird uns verändern. Wir erhalten bereits viele Anfragen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Viele wollen sich in den Prozess einbringen. Und natürlich ist der Tourismus ein entscheidender Faktor. Gäste bringen Kaufkraft. Das wertet die Innenstadt auf. Letztlich eröffnet das Zukunftszentrum vielerlei Möglichkeiten in ganz unterschiedlichen Bereichen, unsere Stadt voranzubringen. In der letzten Konsequenz können wir das aktuell noch gar nicht überblicken: Eine Million Gäste pro Jahr die wiederum über ihren Besuch in Halle mit Freunden und Familie sprechen werden. Das ist eine unglaubliche Chance.

Sie sprechen es an. Halle steht plötzlich im Fokus. Rennen Investoren jetzt ihre Tür ein? Hat sich Galeria Kaufhof gemeldet, weil sie nach Halle zurückkehren wollen?

Nein, Galeria hat sich noch nicht gemeldet. Aber wir merken schon, was die Entscheidung pro Halle auslöst. Wir bekommen seitdem sehr viele Mails. Das sind nicht neue Verkehrsführung ein. Wenn das Zukunftszentrum eröffnet wird, dann soll der Riebeckplatz keine Baustelle mehr sein. Wichtig ist, dass uns das Land Sachsen-Anhalt dabei unterstützt.

Viele Menschen fragen sich, was das Zukunftszentrum leisten soll. Das Konzept ist schwammig. Können Sie es mit einfachen Worten erklären?

Selbstverständlich. Vor allem drei Punkte sind wichtig. Da ist einerseits eine Reflexion und Würdigung der Lebensleistung der Ostdeutschen, die erst die politische Wende möglich machten. Das soll dokumentiert und spannend aufbereitet werden. Der Krieg in der Ukraine, aber auch die politischen Entwicklungen in einigen europäischen Staaten zeigen uns, wie wichtig es ist, für die Demokratie und die Verteidigung der Grundrechte zu kämpfen. Außerdem soll das Zukunftszentrum ein Ort der Begegnung und des Dialogs sein. Es soll Antworten auf zentrale Transformationsthemen geben, die vor uns stehen: Klimawandel, Mobilität, Energiewende, die Weiterentwicklung der Demokratie beispielsweise. Die wissenschaftlichen Einrichtungen in Halle, unterstützt von anderen Universitäten, sollen die Prozesse erforschen, Wissen bündeln und daraus Handlungsempfehlungen erarbeiten. Auf die können dann Kommunalverwaltungen aber auch Regierungen zurückgreifen. Übrigens kann ich jedem nur empfehlen, das Europäische Zentrum der Solidarność in Danzig zu besuchen. Es vermittelt eine sehr gute Vorstellung davon, was uns in Halle erwartet, woran wir anknüpfen können.

Das Zentrum in Polen gilt als so etwas wie die Blaupause für das Zukunftszentrum. Es zieht pro Jahr rund eine Million Besucher an. Das stellt sich der Bund auch für das Zukunftszentrum vor. Wo sollen die Menschen in Halle übernachten?

Ich bin überzeugt, dass wir diese Frage lösen. Bei einem weiteren Hotel am Riebeckplatz wird es nicht bleiben. Die Wahl für Halle sorgt auch für einen gewissen Automatismus. Plötzlich sind wir für Hotelketten interessant, die uns bislang nicht auf dem Zettel hatten. Aber auch hier wird die ganze Region profitieren.

Dass Halle den Zuschlag erhalten hat, verdankt die Stadt vielen engagierten Akteuren. Sie waren der Kopf der Bewerbung. Wie geht es Ihnen?

Der Erfolg berührt mich ungemein. Ich durfte die Stimme der Bewerbung sein. Und für mich schließt sich ein Kreis. 1991 bin ich als 26Jähriger in den Osten gekommen, damals nach Meißen. Ich hatte keine Verwandtschaft in der DDR. Für mich waren die neuen Bundesländer Neuland. Und ich fand es spannend und interessant, wie hier täglich Demokratie gelebt wurde. Da habe ich erkannt, dass der Westen auch viel vom Osten lernen kann. Ich fühle mich heute als transformierter Mitteldeutscher.

Der suspendierte OB Bernd Wiegand wirft Ihnen und der Verwaltung Stillstand vor. Und jetzt holen Sie eines der wichtigsten Großprojekte nach Halle. Verspüren Sie Genugtuung?

Ich möchte das Beste für die Stadt erreichen. Und das Zukunftszentrum ist ein Paradebeispiel dafür, was wir in der Stadt gemeinsam, wenn wir an einem Strang ziehen, schaffen können. Andere Bewertungen habe ich nicht vorzunehmen.

Wiegands Störfeuer prallt also an Ihnen ab?

Ich nehme es zur Kenntnis.

Wie könnte aus Ihrer Sicht eine Schlagzeile lauten, in der Geier, Zukunftszentrum und 2028 vorkommen?

Darüber müsste ich erst nachdenken. Mir ist die Gegenwart wichtig.

Wie wäre es mit: OB Geier freut sich über Eröffnung des Zukunftszentrums?

Auch wenn ich mich jetzt wiederhole: Für mich ist so eine Schlagzeile derzeit kein Thema. Ich konzentriere mich auf die Aufgaben, die wir jetzt anpacken müssen.


REAKTIONEN AUS DER POLITIK

In Halle werden künftig die Erfahrungen der Ostdeutschen zur friedlichen Revolution gewürdigt."

Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler

Ich wünsche mir, dass das Zentrum einen regen Besucherzuspruch aus dem Osten wie dem Westen erfährt.“

Reiner Haseloff (CDU)

Ministerpräsident Sachsen-Anhalt

Geschichte, Lage, das kulturelle und das wissenschaftliche Umfeld sprechen für diese Stadt. Ich freue mich wirklich sehr."

Steffi Lemke (Grüne)

Bundesumweltministerin

„Bei aller Enttäuschung freuen wir uns auch für Halle. Mitteldeutsche Der Raum wird insgesamt profitieren."

Burkhard Jung (SPD)

Oberbürgermeister Leipzig

Als Landesvater bin ich enttäuscht. Mit Halle wird aber die ganze Metropolregion, zu der auch Jena gehört, gestärkt."

Bodo Ramelow (Linke)

Ministerpräsident Thüringen

„Die Niederlage ist unverdient. Wir hatten eineinhalb Jahre dafür gearbeitet. Ich gratuliere aber der Stadt Halle."

René Wilke (Linke)

Oberbürgermeister Frankfurt (Oder)